Social Citizen Science bezeichnet die Einbeziehung von Laien in den Forschungsprozess, speziell in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Ihr Hauptziel ist es, die Forschung durch die Perspektiven und das Wissen der Allgemeinbevölkerung zu bereichern. Die Forschung richtet ihr Erkenntnisinteresse hier auf Phänomene des gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Kultur und des geistigen Lebens und wendet ein breites Methodenspektrum aus quantitativen und qualitativen Verfahren an. Es fördert den direkten Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und zielt darauf ab, sowohl die Forschung als auch das öffentliche Verständnis für wissenschaftliche Themen zu verbessern. Ziele von Social-Citizen-Science‐Aktivitäten können neben dem Erkenntnisfortschritt in wissenschaftlichen Spezialgebieten auch die Anwendung des generierten Wissens in Praxiskontexten umfassen, beispielsweise Politik, Technikentwicklung oder Stadtplanung.
"Nürnberg forscht" kann neue Perspektiven und Daten auf das Thema Integration und Migration im städtischen Kontext liefern, die von herkömmlichen Forschungsansätzen möglicherweise übersehen werden. Die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern erweitert das Spektrum der Forschung und ermöglicht es, Fragen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Das Wissen der Betroffenen sozialer Themenstellungen stellt eine reiche, bisher noch zu wenig genutzte, Ressource für den Erkenntnisfortschritt dar. Es ist eine Chance, Lösungen oder Entwicklungsansätze für lokale oder spezifische Probleme zu finden, die in traditionellen Forschungsansätzen möglicherweise nicht berücksichtigt werden. Hier konkret also Fragen gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt.
Darüber hinaus fördern Projekte wie "Nürnberg forscht" das öffentliche Interesse und Verständnis für Wissenschaft. Daneben unterstützt sie die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure aus Wissenschaft, Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft die Vernetzung städtischer Akteure, gesellschaftliche Teilhabe und demokratische Prinzipien.
Solche Projekte stehen regelmäßig vor Herausforderungen wie begrenzten zeitlichen Ressourcen der Laienforschenden, sprachlichen Hürden und unterschiedlichen Wissensständen. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist es wichtig, klare und verständliche Kommunikationswege zu etablieren, ausreichende Schulungen und Unterstützung für Teilnehmende zu bieten und realistische Ziele zu setzen. Dafür sind Orte des gemeinsamen Austauschs und Erlebens wichtig, idealerweise ein fester Ort und regelmäßige Treffen.
Grenzen von SCS können in der Tiefe und Spezialisierung der Forschung liegen, die durch die Beteiligung von Laien beeinflusst wird. So sollte nicht am Anspruch festgehalten werden, die Forschungsarbeit müsse für hochrangige internationale wissenschaftliche Zeitschriften geeignet sein. Solche wissenschaftlichen Verwertungen sind zwar durchaus möglich, aber eine Fixierung hierauf, erschwert die Zusammenarbeit mit den Laienforschenden, die ja insbesondere durch ihr Interesse am Thema motiviert sind und Praxisbezüge in den Ergebnissen höher bewerten als den Nutzen für akademische Beteiligte im Projekt. Es ist also wichtig, die Ziele ausgewogen zu setzen.
Während Social Citizen Science selbstverständlich wissenschaftlichen Standards gerecht werden sollte, können Anpassungen erforderlich sein, um die Einzigartigkeit von Social-Citizen-Science-Projekten zu berücksichtigen. Mindeststandards wie ethische Forschungspraktiken und die Validität der Daten sollten beibehalten werden, während Flexibilität in Bezug auf Methoden und Ansätze gezeigt werden kann, um die Einbeziehung von Laien zu ermöglichen. So können empirische Methoden in vereinfachter Form umgesetzt werden, um technische Hürden und benötigtes methodisches Vorwissen zu reduzieren.
Wichtig ist es jedoch, stets transparent bezüglich der konkret angewandten Methoden und analytischen Schritte zu sein, um eine methodengeleitete Generierung von Anwendungs‐ wie Erkenntniswissen glaubwürdig sicherzustellen. Dazu gehört auch, deutlich zu machen, welche Grenzen der methodische Ansatz mit sich bringt, d.h. welche Schlüsse und Erkenntnisse damit eben noch nicht als hinreichend gesichert beansprucht werden dürfen. Das ist wissenschaftlich völlig legitim und üblich, denn so werden Forschungsideen für die weitere Erforschung des Themas formuliert. Ganz praktisch ist eine wissenschaftliche Begleitung von Social-Citizen-Science-Projekten daher fast immer zu empfehlen, um gerade diese Aspekte gut bedienen zu können.
Es gibt in den Sozialwissenschaften eher selten etwas wie einen eindeutigen wissenschaftlichen Kanon klar empirisch belegten Wissens zu einem Themengebiet. Sehr häufig gibt es widersprüchliche oder unvollständige Erkenntnisse aus der empirischen Forschung. Hier wird häufig zwischen Mainstream- und Randpositionen unterschieden, wobei Mainstreampositionen Erkenntnisse sind, die zahlreich empirisch belegt wurden, sich also ein Konsens herausgebildet hat, und Randpositionen Befunde, die davon abweichen oder einfach noch nicht häufig untersucht wurden.
Es sollte nicht der Anspruch von Social Citzien Science sein, grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt zu erzielen, der bislang unbeantwortete Fragen der Forschung beantwortet. Vielmehr kann Social Citizen Science bestehendem Forschungswissen zusätzlichen Kontext verleihen, z.B. indem es das Verständnis vertieft oder lokale bzw. soziale Gegebenheiten besser berücksichtigt. Zudem spielt es seine Stärken aus, wenn es empirisch fundierte wie praxisnahe Lösungen für die beforschten Herausforderungen entwickelt. SCS produziert nicht nur Erkenntniswissen (Was? Warum? Wofür?) sondern auch Anwendungswissen (Wie? Wo? Wann? Wer?). Es ist damit in einer einzigartigen Position, Problemlagen besser zu verstehen und in Lösungsansätze zu transformieren.
Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass SCS-Projekte weiterhin gefördert und in ihrer Reichweite erweitert werden. Dies beinhaltet eine stärkere Anerkennung und Wertschätzung der Beiträge von Laienforschenden, die Verbesserung der Zugänglichkeit und Inklusivität von Projekten sowie die Förderung einer Kultur des lebenslangen Lernens und der Neugier in der Gesellschaft.
Es geht also um viel mehr als wissenschaftliche Forschung. Insofern gibt es genügend Gründe für die öffentliche Hand, dauerhafte Strukturen für Bürgerwissenschaft, also Orte und Förderungen, bereitzustellen.
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